18. April 2011

Hmmmm….

Posted in alltäglicher Wahnsinn, spezieller Wahnsinn tagged , , , um 10:42 von psychodoctrix

Einen wunderschönen guten Morgen in die Bloggergemeinde da draußen!

Ich weiß, ich bin faul chronisch überbeschäftigt, deshalb im Moment eher gelegentliche Einträge. Aktuell beschäftigt mich vor allem das Thema mit der „Anonymität“ des Bloggens. Ich war fleißige Leserin bei Josephine, der Heldin, und war ziemlich traurig, dass sie ihr Blog gelöscht hat und anscheinend auch nicht mehr zurückkehren möchte – ihre Schreibe war einfach nur klasse und so plastisch, dass ich (Gyn war mein „Hassfach“) anfing, die Gyn zu mögen….
Ich habe mich bei der Erstellung dieses Blogs damals darauf eingerichtet, relativ anonym zu bleiben. Als Arzt unterliegt man ja ohnehin der Schweigepflicht, es ist schwierig (zumindest für mich), so zu schreiben, dass man Krankheitsbilder plastisch erklären kann, ohne doch „patientenbezogene“ Daten hin und wieder mit einfließen zu lassen (keine Soap kann so heftige Geschichten schreiben, wie das, was man teilweise zu sehen bekommt). Für mich war und ist immer ein Anliegen gewesen, den Menschen die Angst vor der Psychiatrie zu nehmen. Auch mit psychiatrischen Krankheitsbildern kann man wunderbar leben und auch im Alltag zurecht kommen, auch „Irre“ sind Menschen wie Du und ich, es kommt immer nur auf den Umgang mit der eigenen Erkrankung an. Hierbei ist es meiner Meinung nach unerheblich, ob es sich um eine körperliche oder eine seelische Erkrankung handelt. Der Diabetiker, der nicht auf seine Werte achtet, hat mit einem ganzen Haufen Spätfolgen zu leben und wird sein Leben sicherlich dadurch tendenziell eher verkürzen. Auch der Epileptiker, der Medikamente nicht einnimmt und nicht auf eine seiner Krankheit entsprechende Lebensführung achtet, tut sich keinen Gefallen.

Ähnlich ist es bei dem Psychotiker oder dem Depressiven, der ebenfalls sehr genau darauf achten muss, wie er mit seiner Erkrankung umgeht und sich im Klaren darüber sein, dass er krank ist. Im Gegensatz zu körperlichen Erkrankungen, die man evtl. sogar noch „sieht“, ist es bei den psychischen Erkrankungen (egal ob im Kindes- und Jugend- oder im Erwachsenenalter) häufig so, dass Erkrankte, wenn sie sich nicht gerade in einer Akutphase befinden, zunächst völlig unauffällig sind. Psychisch kranke haben häufig sehr lange ein sehr hohes „Funktionsniveau“. Sie wissen, dass etwas nicht in Ordnung ist, aber es ist zunächst auch für die Betroffenen meistens nichts „greifbares“. Sie fühlen sich komisch, teilweise nicht in diese Welt gehörig, haben das Gefühl, dass die Realität „verrückt“ ist und sie selber nicht mehr hineinpassen – so erklärt bekommen von schizophrenen Patienten. Oder sie können die Farbigkeit und die Schönheit des Lebens nicht mehr wahrnehmen, ohne tatsächlich traurig zu sein – gar nicht selten zu finden in der Anfangsphase einer Depression. Da „man“ ja so nicht fühlt und auch gar keinen Anlass dazu hat, bemühen sich psychisch Kranke darum, in ihrem Umfeld angepasst zu bleiben. Im unmittelbaren sozialen Umfeld, also Familie und Freundeskreis, wird häufig eher bemerkt, dass etwas „nicht in Ordnung“ ist. Die Betroffenen ziehen sich zurück, kommen nicht mehr gut aus dem Bett, schaffen es nicht mehr ihren Alltag zu erledigen (depressiv). Oder sie werden „skurril“, fangen an, alles zu hinterfragen, benehmen sich einfach „merkwürdig“ und nicht mehr nachvollziehbar, ziehen sich letztlich aber auch häufig zurück (schizophren). Wenn das Umfeld nachhakt, wird ein sich-anders-fühlen meistens erstmal abgestritten (siehe „es kann nicht sein, was nicht sein darf“). Im Arbeitsumfeld können psychisch Kranke länger funktionieren, da dort häufig keine so engen Bindungen mit den entsprechenden Feinfühligkeiten im Hinblick auf Veränderungen bestehen. Andererseits werden dort Veränderungen dann eher auf anderes geschoben, denn wer würde schon nachfragen, ob sein Kollege Dinge sieht, die andere nicht sehen, oder sich verfolgt fühlt? Von den ersten Warnzeichen bis zur Diagnosestellung vergeht häufig viel Zeit. Die meisten psychisch Kranken kommen erst, wenn sie ihre eigene Existenz (sei es emotional oder eben auch wirklich im Sinne eines Arbeitsplatzverlustes oder ähnlichem) gefährden. Auch dann kommen diese Patienten nicht selten „fremdmotiviert“ und nicht unbedingt aus eigenem Antrieb. Eine Behandlung ist schwierig, wenn der Patient nicht mitspielt, dann funktionieren weder therapeutische noch medikamentöse Interventionen. Leider ist auch der Aufenthalt in einer Psychiatrie immer noch mit einem Stigma belegt, so dass sich die Erkrankten auch nicht trauen, ihre Erkrankung gegenüber ihrem Umfeld zu erklären und zu beschreiben, was los ist. Letztlich sind tatsächlich psychiatrische Erkrankungen eigentlich gut behandelbar, gerade wenn der Patient sich damit auseinandersetzt und mitmacht. Aber wer will schon „verrückt“ sein?

Brückenschlag zur Anonymität im Internet….. Ich bin selber auch „verrückt“. Ich bin endogen depressiv, also gedrückter Stimmungslage ohne erkennbaren äußeren Auslöser, und dies schon seit Jahren. Wer mich nur flüchtig kennt, käme nie auf die Idee, dass gerade ich depressiv bin. Ich bin eigentlich ein sehr positiver, lebensbejahender Mensch. Ich bin, wenn es mir gut geht, ein kleines Energiebündel, ähnlich einem Duracellhäschen. Ich habe viele Ideen, ich setze auch vieles um, ich kann die Menschen um mich herum motivieren und mitziehen. Wenn ich wieder in die Depression abrutsche, werde ich im Privatleben zunehmend weniger aushaltbar. Ich ziehe mich zurück. Wenn ich von der Arbeit komme, ist die Couch „mir“, häufig schlafe ich bereits nachmittags ein. Dafür schlafe ich dann nachts nicht gut, werde teilweise schon morgens gegen 4h wieder wach und fühle mich, als hätte ich gar nicht geschlafen. Mein Umfeld leidet, ich selber auch. Ich werde ungerecht, kann mich selber nicht mehr leiden. Ich schaffe es nicht mehr, die Zeit mit meinem Kind qualitativ gut zu verbringen, ich reagiere hoch sensibel auf ihre Ansprüche. Im Arbeitsumfeld funktioniere ich besser. Ich werde etwas langsamer im Arbeiten, nehme Patientenbelange teilweise noch etwas sensibler wahr, aber alles bekommt auch durch meine eigene Stimmungslage eine „Färbung“, die manchmal da nicht hingehört.

Meine Depression rührt daher, dass mein Botenstoffhaushalt im Gehirn nicht so funktioniert, wie er funktionieren sollte. Mein Gehirn reagiert ausgesprochen sensibel auf Enttäuschungen, dann werden bestimmte Botenstoffe nicht mehr in ausreichender Menge nachgebildet, so dass es zu einem „Mangel“ kommt. Um diesem Mangel entgegen zu wirken, nehme ich Medikamente, die zwar die Nachbildung der Botenstoffe nicht beschleunigt, aber ihre „Wiederaufnahme“ verlangsamt, so dass ich mehr dieses einen speziellen Botenstoffs über einen längeren Zeitraum verfügbar habe. Ich habe lange gedacht, dass meine Depression von außen, also exogen, ausgelöst ist (meine Lebensgeschichte würde auch das hergeben), aber bei genauerem Hinschauen habe ich festgestellt, dass eigentlich gerade bei den Frauen in meiner Familie die Depression quasi fast schon dazugehört, es gibt also eine familiäre Häufung und eine genetische Komponente. Irgendwann bin ich dazu übergegangen, meine Erkrankung in meinem Umfeld offen zu kommunizieren – ich fand es einfach „unfair“, dass meine Kollegen unter meinen teilweise nicht gut einschätzbaren Stimmungsschwankungen zu leiden hatten, mein familiäres Umfeld weiß ohnehin Bescheid. Das, wovor die meisten psychisch Kranken viel Angst haben (mich eingeschlossen) ist nicht passiert: ich wurde nicht komisch beäugt, es hat mich keiner ausgeschlossen. Im Gegenteil, einige meiner Kollegen waren erleichtert, dass es „nur“ die Depression ist, denn damit kann man umgehen, manchmal ist der Umgang damit einfacher, als der Umgang mit schweren Schicksalsschlägen…… Ich bin auch dazu übergegangen, teilweise Patienten gegenüber offen mit meiner Erkrankung umzugehen. Hier ist es sicherlich schwieriger, ich überlege mir auch gut, wem gegenüber ich Hinweise gebe, aber gerade den eigentlich pfiffigen Patienten gegenüber, die einfach Angst vor der Erkrankung haben, kann man teilweise vermitteln, dass man eben auch mit einer solchen Erkrankung einen durchaus anspruchsvollen Beruf ausüben kann, ohne dass man wesentliche Einschränkungen hat…..

Uff, nu isses doch mehr geworden. Ich habe fertig…..